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  • Lea Kessler

Sitzen ein Pole und ein Deutscher auf der Grenzbrücke und trinken ein Bier...

Aktualisiert: 22. Okt. 2020

… So könnte ein Witz aus der Doppelstadt Frankfurt (Oder)/Słubice beginnen -aber vielleicht eben auch nur ein Witz. Schauen wir uns doch mal an wie es wirklich um die deutsch-polnische Nachbarschaft in unserem europäischen Mikrokosmos bestellt ist.


Seit 10 Jahren ist nun die Grenze zwischen Frankfurt und Słubice offen. Man überschreitet die Brücke heute wie jede andere auch, nämlich ohne Ausweiskontrollen oder andere Hindernisse. Nur noch entsprechende Schilder auf denen „Rzeczpospolita Polska“ oder „Bundesrepublik Deutschland“ zu lesen sind, erinnern daran, dass man gerade dabei ist ein anderes Land zu betreten. Wir studieren, essen, kaufen und bewegen uns hier dank des Schengener Abkommens unkompliziert auf beiden Seiten der Oder. Aber so einfach ist es mit der guten deutsch-polnischen Nachbarschaft auch wiederum nicht getan. „Wenn uns damals, Ende der Neunzigerjahre [jemand in Kreuzberg] gefragt hat, wo wir herkommen, haben wir immer schüchtern und auf Hochdeutsch "Frankfurt" gesagt, und gehofft, dass niemand nachfragt, aus welchem. Wir fuhren dann wieder nach Hause, sahen aus dem Zugfenster hinter Erkner die ersten Hakenkreuzgraffitis und beteten, dass keine Nazis einsteigen würden.“ So bedrückend wie Christian Bangel die Situation in Frankfurt Ende der Neunzigerjahre beschreibt und wie meine Eltern und Freund*innen sich die Stadt vor meinem Umzug hierher vorgestellt haben, ist es mit Sicherheit nicht mehr.  Denn Frankfurt ist heute eine multikulturellere Stadt, die zumindest im Vergleich mit anderen Städten im Osten Deutschlands auch den Wahlergebnissen nach als etwas weltoffener einzuschätzen ist.  Und in der Mitte der Doppelstadt stehen heute die Europa-Universität Viadrina und das Collegium Polonicum: Orte, die eine besondere Rolle in der Völkerverständigung einnehmen.

An der Universität gibt es für diejenigen, die sich für die andere Oderseite interessieren unzählige Angebote, von denen der Großteil der Studierenden (deren Haltung zu Polen eher durch Gleichgültigkeit geprägt ist) wenig mitbekommt. Vielseitige Lehrveranstaltungen, Forschungseinrichtungen wie das interdisziplinäre Center „B/ORDERS IN MOTION“, deutsch-polnische studentische Initiativen und mit dem Bachelor of German and Polish Law sogar ein grenzüberschreitender Studiengang sind nur einige Merkmale an denen man die Grenznähe der Viadrina bemerkt. Doch all das sind Aspekte, mit denen man nur in Kontakt kommt, wenn man sich ohnehin schon für deutsch-polnische Thematiken interessiert. Im Gründungsvertrag der Uni heißt es aber zurecht, dass eben nicht nur der wissenschaftlichen, sondern auch der menschlichen Begegnung zwischen Polen und Deutschland eine besondere Bedeutung zukommen soll und dass man einen Auftrag der Universität darin sehen kann, dass sie jungen Menschen Chancen für ihre berufliche, persönliche und gesellschaftliche Eingliederung in das entstehende Europa ermöglicht. Auf die Frage hin, ob die Kritik, dass die Universität dem Anspruch einer „Europa-Uni“ nicht genüge, gerechtfertigt sei, stellte sogar der frühere Viadrina-Präsident Prof. Dr. Hans Weiler fest, dass „an der Uni zwar natürlich viel geschehe, was mit Europa zu tun hat, aber dies eher die Kür als die Pflicht betreffe. In der Substanz der Lehre und Forschung sei die Europa-Problematik nicht so präsent wie gerade heute notwendig“. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Für einige verwirklicht sich an der Viadrina die europäische Idee: Studieren in mehreren Sprachen, Doppelmaster mit Unis z.B. in Frankreich, Polen oder der Türkei, polnische Sprachkurse auf höchstem Niveau und wochenends mit einem 10€-Zugticket in das nur einen Steinwurf entfernte Poznań. Natürlich muss nicht jeder seine Abschlussarbeit über Polen schreiben und seine Semesterferien an der Weichsel oder in den Masuren verbringen - auch wenn es dort natürlich sehr schön ist - aber ein gewisses Grundinteresse und Respekt dem Nachbarland gegenüber ist mehr als angebracht.  Nicht nur aufgrund der schwierigen Vergangenheit der deutsch-polnischen Beziehungen, sondern vor allem weil wir heute gemeinsam in einem geeinten Europa ohne Grenzen leben, das nicht nur auf dem Papier, sondern auch zwischen den Menschen bestehen sollte. Das größte Hindernis in meinen Augen ist die sprachliche Barriere, die eine andere Art von Grenze zwischen den Menschen darstellt. Und diese ist nicht zu unterschätzen, denn Polnisch und Deutsch sind nicht ausreichend miteinander verwandt, dass man sich einfach „durchmogeln“ könnte. Stattdessen sitzen viele Deutsche ratlos in Slubicer Restaurants und versuchen, auf die Pierogi Ruskie in der Speisekarte zeigend um mit Händen und Füßen gestikulierend, zu vermitteln was sie bestellen möchten. Sie wirken hilflos und oft unsicher. Verständigung ohne gemeinsame Worte? Schwierig. Es sind schon alltägliche Handlungen, die plötzlich zu Herausforderungen werden. Muss das so sein? Die Polnischkurse an der Viadrina sind gänzlich kostenlos - dennoch nahmen im Wintersemester 2018/19 nur 2,13% der Studierenden an ihnen teil. Reichlich wenig, wenn man bedenkt wie viele von ihnen Słubice regelmäßig besuchen oder wenn man ihnen die Zahl der deutschsprachigen Polen gegenüberstellt. Diese sind es nämlich, die häufig aus der Patsche helfen und Kommunikation zwischen beiden Seiten ermöglichen. Dieses Ungleichgewicht zwischen Deutschland und Polen, das eben nicht nur in Bezug auf Migration ins Nachbarland sondern auch den Erwerb der jeweils anderen Sprache sichtbar wird, resultiert mit Sicherheit auch aus den unterschiedlichen sozioökonomischen Realitäten und Verschiedenheiten in der wechselseitigen Wahrnehmung sowie bestehenden Vorurteilen. Trotzdem sollte meiner Meinung nach vor allem die Uni noch stärkere Anreize schaffen, Polnisch zu lernen und in den Alltag mit einzubeziehen. Dass die Kurse kostenlos sind ist schon ein guter Anfang, aber vielleicht könnte auch über Ferienkurse, Tandemkonzepte oder leicht zugängliche Materialien zum Selbststudium nachgedacht werden.  Außerhalb der Uni sieht es zumindest mit dem Erwerb der Nachbarsprache besser aus: Insgesamt 6 Kitas in Frankfurt haben ein deutsch-polnisches Erziehungskonzept und erreichten damit etwa 300 Kinder (Stand 2018). Außerdem stehen im Słubicer Kindergarten „Pinokio“ bis zu 40 Plätze für deutsche Kinder zur Verfügung, wohingegen 20 Słubicer Kinder die Frankfurter „Eurokita“ besuchen. Von den 7.247 Frankfurter Schüler*innen lernen 14,3% Polnisch. Unter den Grundschülern ist der Anteil sogar etwas größer. Das ist zwar trotzdem nur jeder siebte (wohingegen mehr als die Hälfte der Słubicer Schüler*innen Deutsch lernt), aber immerhin. Die Tendenz ist steigend - vielleicht auch aufgrund verschiedener kommunalpolitischer Bemühungen.  Eine davon ist der neue Frankfurt-Słubicer Handlungsplan, der für den Zeitraum 2020-2030 weitreichende Maßnahmen und Ziele in Bereichen wie Bildung, Infrastruktur, Wirtschaft und Beteiligung vorgibt und von der gemeinsamen Stadtverordnetenversammlung der beiden Städte verabschiedet wurde.  Infrastrukturell gesehen wächst die Doppelstadt oft aus sehr praktischen Gründen zusammen. Beispielsweise gibt es in Frankfurt nur ein Hallenbad und in Słubice nur ein Freibad. In jeder Stadt beides zu haben wäre nicht wirtschaftlich, deshalb scheint das Teilen einleuchtend. Außerdem ziehen beispielsweise immer mehr Polen wegen des Wohnungsmangels auf Słubicer Seite nach Frankfurt (Oder). Eine andere tolle Errungenschaft, um welche aber auch regelmäßig gekämpft werden muss, ist die grenzüberschreitende Buslinie 983, die Frankfurt und Słubice miteinander verbindet. So kommt man nicht nur schnell von der Viadrina zum CP und dem Słubicer Olympiastadion, sondern auch zum so genannten „Polenmarkt“, wo Schnäppchen aller Arten auf ihre vorwiegend deutschen Käufer warten. Aneta Szcześniewicz, Leiterin der deutsch-polnischen Touristinformation in FFO, zufolge schätzten die Deutschen aber nicht bloß die billigeren Preise, sondern auch die persönliche Ansprache auf dem Basar, bei der Maniküre oder beim Metzger. Jedoch ist dies keine Begegnung auf Augenhöhe, wenn die deutsche Seite immer erwartet in ihrer Muttersprache angesprochen zu werden. (Ist das nicht eigentlich eine ähnliche Arroganz, die viele Deutsche den Franzosen vorwerfen?) Andersherum kommt es sicherlich selten vor, dass Polen in Frankfurt erwarten mit Polnisch zurechtzukommen. „Zu einem persönlichen Austausch führten solche flüchtigen Kontakte an der Tankstelle oder auf den „Polenmärkten“ kaum. Das liege vor allem an der Gleichgültigkeit der Deutschen. Während viele Polen die deutsche Sprache erlernten, versuche sich kaum ein Deutscher am Polnischen. Auf der polnischen Seite der Grenze begrüßten Schilder in deutscher Sprache die Gäste, auf deutscher Seite seien die einzigen Schilder in polnischer Sprache jene, die in Supermärkten davor warnten, jeder Diebstahl werde zur Anzeige gebracht.” - Diese Beobachtung scheint etwas übertrieben, trotzdem bringt sie auf den Punkt: Gastfreundschaft ist nicht immer unsere Stärke. Und trotzdem ist die Sinnhaftigkeit der europäischen Integration etwas, das hier nicht hinterfragt werden muss, während anderenorts Krisenstimmung herrscht. Deshalb finde ich es umso schöner, dass die Doppelstadt sich für den Titel der Kulturhauptstadt Europas 2029 bewerben will, auch wenn sie vielleicht nicht der typische Tourismushotspot ist. Denn hier wird Europa greifbar, sogar in der Frankfurter Krimireihe „Polizeiruf 110", die vorwiegend auf der deutsch polnischen Polizeistation in Świecko spielt und am Beispiel der grenzüberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit die Vorteile der EU-Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen vor Augen führt - ohne dabei an Unterhaltungsfaktor einzubüßen. Wie eine Stadt, ohne Unterscheidung zwischen Frankfurt und Słubice, stellt sich Krystyna Baczyńska, eine Słubicer Stadtverordnete, die Doppelstadt im Jahr 2050 vor. Ob diese Prophezeiung wahr wird, liegt auch in unsereren Händen. Deshalb lasst uns nicht in Ignoranz nebeneinanderher leben, sondern mit dem „anderen“ auseinandersetzen, einander begegnen, miteinander leben und endlich Nachbarn werden.

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