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  • Alina Pröckl

Nie wieder? Nur wenn wir auch was dagegen tun!

Aktualisiert: 8. Mai 2022

#SayTheirNames

Erst neulich passierte mir eine Situation im Onlineseminar, in der aus weißer Lehrendenposition gesagt wurde, Rechtsextremismus in Brandenburg sei eigentlich nicht mehr so ein Problem, zumindest habe er persönlich länger nichts mehr erlebt. Aha

Was wäre der erste Schritt? Anerkennen, dass wir ein strukturelles Rassismus­problem haben, was viel zu häufig Menschen das Leben kostet? Eigentlich sollten wir diesen ersten Schritt gesellschaftlich schon längst gemacht haben und auf der Handlungsebene angekommen sein. Denn die Ereignisse der letzten Jahre und Jahrzehnte zeigen, dass die Bedrohung von rechts real und alltäglich ist. Jüngst zeigte dies der rassistische Angriff auf die 17-jährige Dilan an der Berliner S-Bahnstation Greifswalder Straße. Zunächst ging aufgrund der polizeilichen Pressemeldung die Nachricht um, der Angriff gegen Dilan passierte, weil sie keine Maske trug. Wer wirklich keine Maske trug, waren jedoch die sechs Angreifer:innen, die sie so schwer verletzten, dass sie ins Krankenhaus musste. Dass das möglich war, lag nicht zuletzt an fehlender Zivilcourage der Beistehenden, von denen niemand Dilan half. Aber auch die Pressemeldung danach zeigte, die Polizei hatte zunächst kein Interesse an einer Klarstellung der Umstände und einer Betitelung der Tat als rechtem rassistischen Angriff.


Am 19. Februar jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau zum zweiten Mal. „Bist du wach?“ fragt der Benefizsong für die Angehörigen der Ermordeten, den der Hanauer Rapper Azzi Memo zusammen mit 18 anderen Künstler:innen aufgenommen hat. Zu Recht. Es ist schon lange an der Zeit aufzuwachen. Neun Menschen wurden vor zwei Jahren von einem Rechtsextremisten auf der Straße der Hanauer Innenstadt, in drei Bars und einem Kiosk ermordet. Im Dezember letzten Jahres wurden die Ermittlungen dazu eingestellt, obwohl viele Fragen offenbleiben. Die Versäumnisse der Behörden sind evident. Aber nicht nur das. Recherchen und Aussagen der Betroffenen und Angehörigen zeigen: Die Behörden waren mitverantwortlich dafür, dass so viele gestorben sind. Mindestens drei Notrufe von dem später ermordeten Vili Viorel Păun wurden nicht entgegengenommen. Der Notausgang einer Bar wurde von den Behörden für zukünftige Razzien geschlossen gehalten und versperrte so einen möglichen Fluchtweg. Die Polizei kam erst Stunden später beim Haus des Täters an, obwohl das Kennzeichen seines Autos schon lange bekannt war und sich der Wohnort unweit des Tatorts befand. Ein Jahr später werden in Hessen rechtsextreme Chatgruppen aufgedeckt und eine SEK-Einheit aufgelöst. Einige Beteiligte, so stellte sich heraus, waren auch in Hanau am 19. Februar im Einsatz. Man fragt sich, warum der Täter überhaupt eine Waffe besitzen durfte, obwohl schon lange vieles auf seine Radikalisierung und rechte Gesinnung hinwies. Kritisiert wird auch, dass im vorläufigen Abschlussbericht des BKA der Täter zunächst nicht als Rechtsextremist betitelt wird, da seine Laufbahn nicht der eines klassischen Rechtsextremisten entsprach. Und das, obwohl die Tat selbst als rassistisch und rechtsextrem motiviert anerkannt wurde. Ein von Verschwörungsmythen und Rassismus geprägtes Weltbild konnte ihm nachgewiesen werden, aber die rassistische Motivation hinter den Morden qualifiziert ihn nicht dafür, Rechtsextremist zu sein? Die Liste der Versäumnisse ist hier unvollständig, aber sie vermittelt einen Eindruck davon, warum sich die Angehörigen nicht auf die Behörden verlassen können und wollen. Ein Einzeltäter mit psychischen Problemen? Schon wieder? Die Definitionen der Behörden verharmlosen, was es niemals zu verharmlosen gilt. Ich wiederhole hier, was schon längst gesagt ist, was klar ist, wenn man den Betroffenen zuhört und die Fülle der rechtsextremen Angriffe der letzten Jahre als Zusammenspiel betrachtet. Aber wir müssen es wiederholen, neu auf den Tisch bringen und nicht ruhen lassen. Bis Verantwortlichkeiten und Versäumnisse nicht zulänglich geklärt sind und politische Konsequenzen folgen, darf der Fall Hanau nicht ad acta gelegt werden.


Dieses Wochenende gibt es zahlreiche Demos und Mahnwachen zum Jahrestag. In Frankfurt Oder ist bislang zwar keine angemeldet, für die Studis der Viadrina gibt es am Samstag aber in Berlin und Potsdam folgende Veranstaltungen zum zweiten Jahrestag des Anschlags:


Berlin – Gedenkveranstaltung am Leopoldplatz um 12.00 Uhr

Berlin – Gedenkkundgebung Marktplatz in Adlershof um 15.00 Uhr

Berlin – Gedenkveranstaltung am Oranienplatz um 16.00 Uhr

Berlin – Kundgebung und Gedenkdemo am Zickenplatz um 19.30 Uhr

Potsdam – Gedenkkundgebung am Brandenburger Tor um 17.00 Uhr


Wenn ihr euch weiter über den Anschlag und die Versäumnisse der Behörden informieren wollt, dann empfehle ich den Podcast 190220 auf Spotify. Dabei wurden mit journalistischer Akribie die Geschehnisse aufgearbeitet. Auch alles, was nach dem 19. Februar folgte und die Ergebnisse der Ermittlungen werden hier mit den Hinterbliebenen festgehalten und besprochen.

Im Zuge des Anschlags hat es viel politisches Engagement gegeben, das man unterstützen kann. Wenn ihr könnt, spendet an die Initiative 19. Februar. Sie hat einen Raum für die Betroffenen geschaffen, und setzt sich dafür ein, dass die Ereignisse lückenlos aufgeklärt und die Namen der Ermordeten nicht vergessen werden. Zudem leistet sie Unterstützungsarbeit für Betroffene von Rassismus in Hanau. Mehr Infos und die Kontodaten findet ihr unter https://19feb-hanau.org/ . Auch die Bildungsinitiative Ferhat Unvar braucht Spenden für ihre wichtige Aufklärungsarbeit gegen Rassismus an Schulen. Mehr Infos unter: https://www.bildungsinitiative-ferhatunvar.de/ .


Für bedingungslose Solidarität mit den Betroffenen und für eine lückenlose Aufklärung! Wir gedenken den Opfern des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau. Nie wieder!


Said Nesar Hashemi, Hamza Kurtović, Ferhat Unvar, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov

#SayTheirNames #HanauIstÜberall

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