- Dennis Müller
Lewis Hamilton - Mein Held der Pandemie
Knapp 22 Sekunden betrug der Vorsprung von Lewis Hamilton auf den zweitplatzierten Daniel Ricciardo 2016 beim Grand Prix von Malaysia. Ein Sieg Hamiltons wäre gleichbedeutend mit dem Vorbeiziehen an Nico Rosberg auf Platz 1 innerhalb der Fahrerwertung gewesen. Hamilton hätte somit bereits eine Hand am Weltmeistertitel gehabt. Das Glück war diese Saison allerdings nicht auf seiner Seite. In der 41. Runde erlitt Hamilton einen Motorschaden und musste notgedrungen seinen Wagen und seine Hoffnungen auf den Weltmeistertitel in der ersten Kurve abstellen. Zu diesem Zeitpunkt konnte man mich nicht gerade zu den Unterstützer*innen Hamiltons zählen und ich jubelte als sein Auto immer langsamer wurde und er am Funk seinen Frust Ausdruck verlieh. Es dauerte nur ein paar Augenblicke bis ich mich in Grund und Boden für meinen Jubel schämte, weil ich mich über das Ausscheiden eines Fahrers dermaßen freute. Ich musste anscheinend erst noch lernen was Fairplay und Respekt bedeutet und wie man Sportler*innen in so einer Situation behandelt.

Nach diesem Ereignis lernte ich Saison für Saison den Ausnahmeathleten Lewis Hamilton mehr und mehr zu schätzen. Ich erkannte, dass ich Zeuge eines Generationensportlers bin und versuche die Zeit, die Lewis Hamilton noch in der Formel 1 fährt zu genießen. Dennoch soll sich dieser Text weniger um den Fahrer Lewis Hamilton drehen, sondern vielmehr den Menschen dahinter skizzieren. Lewis Hamilton ist weitaus mehr als ein Formel 1 Fahrer, er ist Klimaschützer, Aufklärer und erhebt seine Stimme gegen Rassismus. In den letzten Monaten und Wochen entwickelte sich Lewis Hamilton zu meinem persönlichen Helden der Pandemie.
Um eines gleich vorwegzunehmen, Lewis Hamilton ist kein Ritter in strahlender Rüstung, der alles richtig macht. Es gibt auch einiges an ihm zu kritisieren. Beispielsweise ist seine Co2-Bilanz als Formel 1 Fahrer und Influencer eine absolute Katastrophe und sein ökologischer Fußabdruck ist ganz sicher riesig. Während ihm aus diesem Grund mehrmals von allen Seiten Kritik entgegenschwappt ist und der ein oder die andere ihn der Heuchlerei bezichtigt, finde ich, dass die Kritik zwar angebracht ist, aber der Vorwurf der Heuchlerei zu weit geht. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass sich gerade Menschen wie Lewis Hamilton, die eine große mediale Präsenz und eine breite Followerbasis haben, für die größten Probleme unserer Zeit einsetzen und in gewisser Hinsicht auch aufklären. Trotzdem herrscht bei Hamilton in Sachen Klimaschutz noch deutliches Verbesserungspotenzial.
Des Weiteren ist zu beobachten, dass Hamilton das ein oder andere Mal auf Instagram und Co. aus dem Affekt heraus handelt, scheinbar ohne vorher nachzudenken. So teilte er etwa das Video eines Influencers, der Bill Gates eine Mitschuld beim Entstehen des Coronavirus gibt und behauptet, dass dieser sich nur daran bereichern möchte. Die Löschung des Posts und eine Entschuldigung seitens Hamiltons ließen nicht lange auf sich warten und er gab selbst zu, dass ihm seine Postings nicht immer richtig gelingen und er teilweise eine falsche Botschaft verbreitet. Für mich ist das eine Sache, die Lewis Hamilton unbedingt noch lernen und verbessern muss. Wer Followerzahlen in Millionenhöhe hat, der oder die muss verantwortungsvoll damit umgehen und sich vorher ausführlich informieren. Allerdings machen ihn seine Fehler ebenfalls ein Stück menschlicher und zeigen seine Ecken und Kanten auf. Eine Fähigkeit, die vielen Sportler*innen und Menschen des öffentlichen Lebens fehlt.
Lewis Hamilton ist und war deswegen schon immer ein polarisierender Rennfahrer und ist zeitgleich ein echtes Unikat in der Formel 1. Während andere Fahrer zu Fuß in ihre Box rennen, fährt Lewis Hamilton gemütlich mit einem Roller im Fahrerlager herum und verändert bspw. seinen Kleidungsstil Rennen für Rennen. Was Lewis Hamilton allerdings in der Formel 1 oder generell im Motorsport so besonders macht ist schnell ersichtlich. Lewis Hamilton ist eine Person of Color. Dass das im Motorsport leider etwas Außergewöhnliches ist, zeigt sich jeder Person, die auch nur einmal ein Formel 1 Rennen gesehen hat. So ist es wenig überraschend, dass sich Hamilton verpflichtet fühlt der weltweiten Anti-Rassismus-Bewegung wie bspw. Black Lives Matter seine Stimme zu geben und quasi stündlich über das Thema zu informieren.
Laut mehreren Berichten erfuhr Lewis Hamilton in jungen Jahren während seiner Go-Kart Phase am eigenen Leib Rassismus. Ein Schmerz, den ich mir als weißer, männlicher Europäer niemals vorstellen kann. Wenige Augenblicke in der Kommentarsektion unter seinen Tweets oder Instagramposts reichen, um das Ausmaß der andauernden rassistischen Beleidigungen auch nur zu erahnen, die Lewis Hamilton täglich widerfahren. Dass Lewis Hamilton daraus seine Stärke zieht und ihn das immer widerstandsfähiger macht beweist seine unglaubliche Karriere, die ihn höchstwahrscheinlich zumindest mit Michael Schumacher gleichziehen lässt.
Seit dem gewaltsamen Tod George Floyds, der uns den immer noch anhaltenden Rassismus innerhalb der Gesellschaft wieder vor Augen führte, ließen große Kampagnen vor allem im Motorsport lange auf sich warten. #WeRaceAsOne und #endracism waren und sind die Mottos der wieder fortgeführten Formel 1 Saison. Kampagnen, die erst nach der Kritik Hamiltons an der schweigenden Formel 1 entwickelt wurden. Dies und das Ausbleiben der Reaktionen anderer Fahrer zum Thema Rassismus zeigten auf, dass der Motorsport noch immer von weißen Männern dominiert wird, ein Umstand, den Hamilton mehrfach kritisierte. Während sich daraufhin Fahrer und Teams solidarisch zeigten, Mercedes bspw. lackierte als Zeichen der Unterstützung Hamiltons ihr Auto und Rennoverall schwarz, gab es ebenfalls Stimmen von Formel 1 Legenden wie etwa Sir Jackie Stewart oder Bernie Ecclestone, die kein Rassismus Problem im Motorsport sehen oder es herunterspielen.
Die wiederaufgenommene Saison stand dennoch vollends im Zeichen des Kampfes für mehr Diversität und Offenheit gegenüber allen Menschen. Nicht nur ich blickte mit Spannung auf das erste Rennen und wollte erfahren welche Aktionen Fahrer und Teams geplant hatten. Ich freute mich als ich erfuhr, dass die Fahrer und Mitarbeiter*innen der Teams wie bereits im Fußball, vor allem in der Premier League, auf die Knie gehen und ein T-Shirt mit #endracism tragen wollten. Umso schockierter war ich als ich lesen musste, dass sich einige Fahrer weigerten auf die Knie zu gehen, aber trotzdem den Kampf gegen Rassismus auf ihre Art unterstützen. Selbstredend hat jede*r das Recht zu entscheiden wie er oder sie seine Unterstützung zeigt und ausdrückt, dennoch sieht für mich Geschlossenheit und volle Unterstützung anders aus, gerade da Take-A-Knee zum weltweiten Symbol sportlichen Protests gegen Rassismus anerkannt ist. Das gemischte Bild von knienden und stehenden Fahrern vor jedem Rennen ist für mich erstens eine Farce und zweitens spiegelt es ebenfalls die geteilte Gesellschaft wider. Lewis Hamilton sticht trotzdem auch hier wieder heraus. So ist er der einzige, der kein T-Shirt mit #endracism trägt, sondern ausschließlich T-Shirts mit dem prägnanten Aufdruck Black Lives Matter anhat. Sein Helm ist ebenfalls mit dieser Botschaft verziert.
Als am 28. August 2020 Chadwick Boseman während des Rennwochenendes von Spa-Francorchamps seinem Krebsleiden erlag, war es wieder Lewis Hamilton der ein Zeichen setzte. Chadwick Boseman wurde vor allem als Superheld Black Panther im Marvel Cinematic Universe und mit seinem berühmten Wakanda-Forever Gruß zum Idol und Kämpfer für Gleichberechtigung. Hamilton, der bereits kurz nach der Todesmeldung mit einem Text auf Social Media seiner Trauer Ausdruck verlieh, widmete Boseman im Folgenden Qualifying seine gewonnene Pole-Position über Funk. Selbstredend vollführte er nach dem Aussteigen die Wakanda-Forever Geste und zeigte damit ein weiteres Mal seine Bewunderung für Chadwick Boseman und seinem Kampf für eine offenere Gesellschaft, für die Boseman und seine verkörperten Rollen standen.
Für noch mehr öffentliches Aufsehen sorgte Lewis Hamilton mit seiner letzten und wahrscheinlich auch umstrittensten Aktion. Politik hat im Sport nichts zu suchen, hört man immer wieder von allen Seiten. Meiner Meinung nach ist dieser Spruch Schwachsinn, denn Rassismus ist nicht politisch, sondern ein menschliches Problem. Der Sport bietet deshalb die perfekte Plattform, um vor allem auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen, gerade weil so viele verschiedene Menschen zuschauen. Dasselbe dachte sich wohl auch Lewis Hamilton als er beim Grand Prix der Toskana ein T-Shirt mit folgender Aufschrift sowohl vor dem Rennen als auch auf dem Podium trug: Arrest the cops who killed Breonna Taylor. Ein weiterer Fall polizeilicher Gewalt mit Todesfolge, der im März 2020 in den USA für Aufsehen sorgte. Für viele Expert*innen ging diese Aktion zu weit und sie beriefen sich immer wieder auf die strikte Trennung zwischen Sport und Politik. Die Aktion seitens Hamiltons kann als Gradwanderung angesehen werden, da seine Aussage sehr präzise und vor allem innerhalb seiner Fangemeinde meinungsmachend ist. Allerdings wurde ich bspw. erst durch sein T-Shirt auf diesen Fall aufmerksam und konnte mich somit umfassend informieren. Daraus kann man schließen, dass sein T-Shirt eventuell provokant war, aber sein Ziel vollends erfüllt hat.
Nichtsdestotrotz war der Aufschrei groß und selbst eine Bestrafung seitens der FIA, dem Weltverband des Motorsports, stand im Raum, da auch weiterhin politische Statements im Sport zumindest nicht gern gesehen werden. Von einer Bestrafung sah man schlussendlich ab, aber die FIA hat bewirkt, dass Fahrer auf dem Podium und während der Interviews nach dem Rennen ihren Rennoverall nicht mehr öffnen dürfen, um somit politische Statements z.B. über das Tragen von T-Shirts zu verhindern.
Lewis Hamilton wird sich durch diese Maßnahme sicherlich nicht bremsen lassen und wird auch weiterhin eine polarisierende Persönlichkeit bleiben. Genau diese Persönlichkeit ist es, die ihn zu meinem Helden der Pandemie macht. Gerade weil Lewis Hamilton Fehler macht und nicht immer dieser grundsympathische Typ ist, der jeden Marketingmenschen ruhig schlafen lässt und eine makellose Fassade hat. In einer Zeit, in der gefühlt jede*r Sportler*in nur bedeutungslose Phrasen in das Mikrofon spricht und versucht seine Rolle zu spielen ist es Hamilton, der aus dem Muster schlägt. Auf der Rennstrecke mag es andere Fahrer geben, die ich während des Rennens anfeuere, aber sobald die Zielflagge geschwenkt wurde bin ich Fan des Menschen, der unter dem Helm steckt. Ein Mensch, der Fehler macht. Ein Mensch, der nicht schweigt. Ein Mensch, der für eine bessere Welt steht und ein Mensch, der für viele Menschen zum Idol geworden ist.