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  • Georg Gauger

Germany: 0 Points

Aktualisiert: 22. Okt. 2020

Bodennebel, Balladen, Feuer, Folklore, oft belächelt, trotzdem unübertroffen: Der Eurovision Song Contest. Warum Deutschland beim ESC oft so schlecht abschneidet und warum er vielleicht genau das ist was wir in Europa gerade bräuchten. „Abseits von Sport ist der Eurovision die größte TV-Show der Welt“, meint Peter Stettmann, der den ESC auf den amerikanischen Markt bringen möchte. Einmal im Jahr kommt der Kontinent zusammen und zelebriert seine Singer und Songwriter. Es ist ein Wettbewerb, in dem Länder gegeneinander antreten, aber die Fans im entscheidenden Moment nicht für das eigene Land abstimmen können. Musik verbindet Kulturen und Menschen. Der ESC feiert Vielfalt und baut Brücken. Der Eurovision Song Contest ist ein Ironie freier Raum. Wer sein Land vertritt nimmt die eigene Musik ernst, egal ob auf einer Stange wie ein Staubwedel in der Luft kreisend (AUS, Kate Miller-Heidke – „Zero Gravity“, 2019, 9. Platz) oder in einer ausgedachten Sprache singend (BE, Urban Trad – „Sanomi“, 2003, 2. Platz: NEL, Treble – „Amanbanda“, 2006, Halbfinale Platz 20). Und die Vielfalt der Musik überrascht jedes Jahr. Beim ESC ist für alle Künstler*innen und für jedes Genre Platz. Die Gruppe russischer Großmütter, die auf udmurtisch und englisch singen (RU, Buranovskiye Babushki – „Party For Everybody“, 2012, 2.Platz) steht neben der finnischen Hard Rock Band (FIN, Lordi - "Hard Rock Hallelujah", 2006, 1. Platz) und dem rumänischen Opernsänger (ROU, Cezar – „It’s my life“, 2013, 13. Platz). Der Eurovision zeigt wie vielfältig Europas Kultur ist und das begeistert das internationale Publikum. Keine nationale Veranstaltung könnte etwas ansatzweise Ähnliches alleine stemmen. Nicht nur die Genres sind vielfältig. „The gay Olympics“ nannte Dr. Catherine Baker den ESC in einem Artikel im European Journal of International Relations. Und das nicht ohne Grund. Wer beim ESC antritt muss nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. „In einem Mix von so vielen Kulturen entsteht automatisch eine Umgebung, in der es akzeptiert ist, etwas anders zu sein, in der Unterschiede egal sind“, erklärte Sietse Bakker, Event Produzent des ESC, in einem Interview FRANCE 24. Aber was macht einen guten Eurovision Beitrag aus? „Er muss die Menschen motivieren den Hörer zu nehmen und für den Song anzurufen“, meint Nando (@nando_aze1), der auf Twitter über den ESC und Gaming schreibt. Es müsse das Gesamtpaket stimmen, „Wenn der Song es schafft eine gewisse Emotionalität aufzubauen, wenn die Leute damit irgendwas verbinden können oder wenn der Song besonders witzig ist und, das ist sehr wichtig, authentisch ist“. Damit trifft Nando einen wunden Punkt: Authentizität. Letztes Jahr landete Deutschland auf dem vorletzten Platz und „S!sters“ erhielten als einziger Beitrag vom Publikum in keinem Land Punkte für „Sister“. Ironischerweise beginnt das mit „I’m tired, Tired of always losing“. Aber überrascht das wirklich? Zwei ehemalige „The Voice of Germany“ Kandidatinnen, die für einen Song zu einem Pop-Duo gecastet wurden, der eigentlich als Beitrag für die Schweiz geschrieben wurde, der dann noch fast genauso wie das Duo heißt. Geht es noch weniger authentisch? „Es gibt jedes Jahr sehr viele gute Beiträge, aber viele vernachlässigen, dass auf der Bühne auch etwas passieren muss“, meint Nando. Er lege seine Favoriten erst fest, wenn er die ersten Bühnenproben gesehen habe. Und wer den Eurovision einmal gesehen hat, kennt die große, imposante, Bühne, die mit einer Show gefüllt werden will. Nando kritisiert hier den für den Deutschen Beitrag verantwortlichen NDR und das kreativ Team: „Es wirkt oft als ob Elemente von einer `Wetten, dass…?‘-Bühne kombiniert werden. Aber das ist keine normale Studio Bühne, das ist die ESC-Bühne!“. Dass die deutsche Kunstlandschaft durchaus ESC konkurrenzfähig ist hat zuletzt Michael Schulte gezeigt mit „You Let Me Walk Alone“. Mit der selbst geschriebenen Ballade über den Tod seines Vaters erreichte erreichte er 2018 den 4. Platz. Nando kritisiert aber auch die Arroganz des NDRs, jedes Jahr den eigenen Beitrag als klaren Gewinner zu verkaufen. „Deutschland kann sich leisten, mehr zu riskieren“, meint er im Bezug darauf, dass Deutschland als Teil der Big 5 einen sicheren Platz im Finale hat, „gerade nach dem Griff ins Klo letztes Jahr wäre das mal angebracht“. Seit 65 Jahren lässt der ESC Länder zusammenrücken, die sich oft nicht so nah sind. Jedenfalls für einen Abend. Das sieht auch Nando so: „Musik ist ein gemeinsamer Nenner, der die Politik in den Hintergrund rückt“. Was tun in einer Zeit, in der Europa auseinanderfällt, in der Nationalisten in ganz Europa auf dem Vormarsch sind, in der Menschenrechte mit den Füßen getreten werden? Ist eine TVShow die eine Lösung? Sicher nicht. Der ESC holt keine Geflüchteten aus Lagern, leistet keine humanitäre Hilfe und lässt Rechtsextreme nicht aus den Parlamenten Europas verschwinden. Aber für einen Abend gibt er ihnen keine Bühne und bringt für diesen Abend die Offenheit und Vielfalt in die Programme, die dort sonst nicht (mehr) gesendet wird. ABBA's Björn Ulvaeus trifft es auf den Punkt: “For me the Eurovision Song Contest is a powerful symbol and I would say, even a weapon in the fight against the dark forces that want to drag us back to the middle ages again. It is the one show where people feel connected." Dieses Jahr findet der ESC nicht statt, jedenfalls nicht wie geplant. Die EBU hat die Ersatzshow „Europe Shine a Light“ angekündigt. Am ursprünglichen Sendetermin ist die EBU jetzt nicht mehr alleine: Stefan Raab hat den „Free European Song Contest“ ausgerufen.

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