- Nathalie Trappe und Fabio Mauro
Friede, Freude Eierkuchen – Quo Vadis Europa?
Was mit dem Friedensprojekt Europa passiert ist - und wer davon profitiert
Es ist nicht lange her, da beschränkte sich das Wissen über Geparden und Marder für die meisten von uns auf die Tierwelt. Heute lesen wir sie gefühlt täglich in den Nachrichten, gespickt mit grauenhaften Bildern von einem Krieg nur einige hundert Kilometer entfernt, in der Ukraine. Unsere Generation bezeichnet sich gerne als jene der Kinder des Friedens, die plötzlich erschüttert wurde. Denn das war ja schließlich die europäische Idee in den 50ern, oder? Am 9. Mai 1950 wurde diese vom damaligen französischen Außenminister Robert Schuman aufgestellt. „Die europäischen Staaten sollten wirtschaftlich so stark zu einer Gemeinschaft im Dienste des Friedens verbunden werden, dass Kriege zwischen ihnen nicht mehr möglich sein würden“, so seine Worte. Frieden, das hört sich doch erstmal – vor allem nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges – ziemlich vielversprechend an. Aber schon in diesem Satz versteckt sich ein einziges Wort, mit dem sich viele der heutigen Probleme Europas erklären lassen: wirtschaftlich. Denn geht es ums Geld, geht es oft auch um Macht – und das passt gar nicht so gut zu Frieden. Ein Bündnis nach dem anderen folgte auf Schumans Idee: Aus der Europäischen Gemeinschaft wurde schnell die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, nur einige Jahrzehnte später kam es zur Wirtschafts- und Währungsunion. Alles natürlich „im Dienste des Friedens“. Doch trotz der außerordentlichen Macht der Ökonomie scheinen die Interventionen aktuell nicht auszureichen und das Friedensprojekt Europa steht auf dem Spiel.
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Es waren einmal sechs Staaten, die schlossen sich zu einem Bündnis zusammen, um Frieden zu sichern. Und um ihre eigenen, vom Krieg geschundenen, Wirtschaftskreisläufe wieder in Schwung zu setzen. Sie einigten sich dafür auf gemeinsame Werte, gemeinsame Bedingungen. Mit der Zeit kamen immer mehr Mitglieder dazu, um auch etwas von diesem scheinbaren Kuchen abzubekommen. Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern waren allen Staaten gemein – so die Theorie der Europäischen Union. Doch während innerhalb der EU der Frieden gesichert wurde und die Mitglieder gemeinhin von ihrer Zugehörigkeit profitieren, ist dies für Staaten, die zwar geografisch zu Europa aber nicht zur EU gehören, nicht der Fall. Verständlich also, dass sie gerne dazugehören wollen.
In Wirklichkeit jedoch scheint die wertvolle Fassade der EU mit jedem neuen Mitglied ins Bröckeln geraten zu sein. Die Europäische Union hat sich erweitert. Und lange Zeit hat es auch ganz gut geklappt mit dem Frieden durch wirtschaftliche Annäherung. Immer mehr Länder bekundeten Beitrittsabsichten immer größer schien der Wunsch nach Frieden. Dass es auch in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger größere militärische Auseinandersetzungen auf europäischem Terrain gab, wird dabei gern verschwiegen.
Diese Auseinandersetzungen erwuchsen oft aus identitären Konflikten in ehemaligen Sowjetstaaten, beispielsweise im Balkan-Krieg. Da beteiligte sich Deutschland zwar am Ende im Rahmen des NATO-Bündnisses, nicht so aber die Europäische Union. Frieden hatte Priorität. Stattdessen steckt man seitdem in Beitrittsverhandlungen mit den nach dem Krieg entstandenen Ländern, wie Serbien. EU-Beitritt klingt ja auch schöner als Kriegsbeteiligung.
Parallelen zum aktuellen Ukraine-Krieg kann man hingegen beim Tschetschenien-Krieg ziehen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion kommt es zu einem Krieg zwischen der russischen Regierung und islamischen Separatisten. Trotz bekannter Menschenrechtsverletzungen zögerte man Sanktionen gegen Russland in der EU schon damals lange heraus. Grund seien die wichtigen Handelsbeziehungen zu Russland. Im Ukraine-Krieg gibt es mittlerweile zwar Sanktionen gegen Russland, doch auch dahin war es ein langer Weg. Es scheint beinahe, als wäre die Europäische Union immer nur ein Schutzschild gewesen für ihre Gründungsstaaten. Sie sind noch immer verbunden durch Handel und den Wunsch nach Frieden. Vor allem wirtschaftlich schwächere Länder werden aber einfach mitgezogen oder erst gar nicht reingelassen. Und obwohl Russland niemals den Wunsch nach einem EU-Betritt äußern wird, will man sich hier den Handel warm halten.
Es geht eben vor allem um Geld und um Macht, nicht um Frieden. Selbst jetzt, mitten im Krieg, ist wieder einmal die Wirtschaft der starke Motor. Während Russland versucht mit Zurückhalten von Getreidelieferungen aus den besetzen Gebieten international Druck aufzubauen, reagiert die EU mit umfangreichen wirtschaftlichen Sanktionen. Und obwohl Waffenlieferungen an die Ukraine eigentlich gegen alles verstoßen, was Deutschland die letzten Jahre propagierte, ist das Risiko, dass Russland über die Ukraine hinweg und weiter in einen EU-Mitgliedsstaat trampelt, für die Wirtschaftsnation zu hoch. Es scheint, als würde es für die EU auch ein Stück weit um Machterweiterung zu gehen, wenn sie sich überlegt, die Ukraine in ihren Kreis aufzunehmen.
Und so bleiben es am Ende sechs Gründerstaaten, die „friedlich“ versuchen ihr Territorium zu erweitern. Gönnerhaft verstecken sie sich weiter hinter der Friedenserzählung, die spätestens nach einem Blick auf die EU-Außengrenzen wie ein sehr langatmiges Märchen erscheint. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann philosophieren sie noch in hundert Jahren über Geparden und Marder.