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  • Paula Pötschick

Eine soziale Union?

Die Europäische Union ist eine Wirtschaftsunion. Die Europäische Union ist eine Währungsunion. Die Europäische Union ist eine soziale Union?

Die beiden ersten Fragen können mit einem klaren „Ja!“ beantwortet werden. Natürlich könnte diskutiert werden, dass nicht alle Länder den Euro auch wirklich eingeführt haben und es profitieren auch nicht alle Mitgliedstaaten gleich stark vom europäischen Binnenmarkt. Trotz allem sind das zwei Aussagen, die im Großen und Ganzen so stehen bleiben können.

Aber was soll diese soziale Union sein?

Vom 7. bis zum 8. Mai 2021 findet der nächste Sozialgipfel in Porto statt, wo sich EU-Staats- und Regierungschefs und -chefinnen treffen. Thema ist unter anderem die Europäische Säule Sozialer Rechte (ESSR). Ein Leuchtturmprojekt des vorherigen Kommissionspräsident Junker, das am 17. November 2017 in Göteborg proklamiert wurde und 20 Grundsätze enthält, die einen fairen und gut funktionierenden Arbeitsmarkt fördern sollen.

Hierzu luden die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland und die Europäische Bewegung Deutschland e.V. zu einer virtuellen Diskussionsrunde mit dem Titel: „Europäische Säule Sozialer Rechte — wie wird sie in Deutschland umgesetzt“ ein. Gäste waren unter anderem der für Arbeit und soziale Rechte zuständige EU-Kommissar Nicolas Schmit und die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Franziska Giffey. Daneben gab es noch Vertreter und Vertreterinnen auf Landes-, sowie Kommunalebene, dem Deutschen Städtetag, der Bundesagentur für Arbeit, der Wissenschaft und anderer Sozialpartner.

Auch wenn diese Diskussion sich vorrangig um die Implementation der ESSR in Deutschland drehte so konnten durchaus einige Argumente eine grenzüberschreitende Geltung entfalten.

Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass die Europäische Union nicht alle Kompetenzen besitzt. Vielmehr handelt es sich bei der Sozialpolitik um einen Bereich der geteilten Zuständigkeit. Der Spielball liegt also im übertragenen Sinne im Feld der Mitgliedstaaten und Sozialpartner.

Nicolas Schmit verwies darauf, dass Europa mehr wirtschaftliche Konvergenz brauche. Also einen gut funktionierenden Binnenmarkt aber gleichzeitig soziale Konvergenz, um den Zusammenhalt der EU zu garantieren. Denn wirtschaftliche Konvergenz, und da sind sich alle einig, benötigt soziale Gerechtigkeit über die Grenzen hinaus da es sonst zu Ungerechtigkeiten zwischen den Ländern und vor allem ihren Bürgerinnen und Bürgern kommt. Außerdem müsse die EU mehr für das Vertrauen der EU-Bürgerinnen und -Bürger tun, man dürfe die menschliche Dimension nicht vergessen.

Besonders auf Landes- und Kommunalebene sieht man ein soziales Europa als gemeinsames Ziel. Hier sollten vor allem die Grenzregionen nicht vergessen werden, wo EU-Bürgerinnen und Bürger täglich zur Arbeit und zum Leben in ein anderes Land pendeln. Kolleginnen und Kollegen teilen sich die gleichen Aufgaben und haben sehr ähnliche Alltage, und trotzdem können soziale Standards voneinander abweichen. Trotzdem wurde darauf verwiesen, dass es keine überzogenen Erwartungen an die EU geben dürfe. Es seien nun einmal die Mitgliedstaaten die relevant seien und die EU müsse ihre Grenzen gerade bei Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wahren. Die Union müsse aber so weit gestärkt werden, dass die Mitgliedstaaten nicht weiter auseinanderdrifteten. Markus Lewe, Vizepräsident des Deutschen Städtetags, verwies auf den Austausch von Know-How durch Projekte wie Eurocities. Neben vielen anderen polnischen Städte ist zum Beispiel auch Poznań Mitglied dieses Netzwerks von Städten, dass sich unter anderem auch mit sozialen Fragen beschäftigt, wie zuletzt beim Social Innovation Lab in Glasgow 2019. Auch er forderte, dass das Kriterium der Subsidiarität gewahrt bliebe, die Europäische Union aber einen Rahmen schaffe, der agil und schlank und ohne viel Bürokratie sei. Er verwies zusätzlich auf die Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. Deutschland müsse zur Kenntnis nehmen, dass es eines der wohlhabenderen Länder innerhalb der EU sei. Dabei dürfe man allerdings den Rest Europas nicht vergessen um Disbalancen zu vermeiden.

Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) forderte einen Ausbau der Spielregeln bei Anerkennung der Subsidiarität. Darunter fielen unter anderem ein europaweite Erhöhung der Tarifbindung um die Lebensbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten weiter anzugleichen, da zu große Unterschiede eine Sprengkraft für den Zusammenhalt in der EU und die Solidarität darstellen würden.

Am Ende der Diskussion wurden alle Teilnehmenden nach ihren Wünschen für den Sozialgipfel in Porto gefragt. Nicolas Schmit antwortete darauf, dass er hoffe, dass in Porto alle an einem Strang ziehen um den Wandeln der Wirtschaft gemeinsam zu schultern. Ob sein Wunsch in Erfüllung geht, werden wir frühestens heute, am 8. Mai erfahren.


Trotzdem kann jetzt schon festgehalten werden: Diese soziale Union gibt es noch nicht. Auch wenn es seit Anbeginn der Europäischen Gemeinschaft immer wieder Regelungen und Initiativen für ein sozialeres Europa gab, ist die Union heute ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Sozialsystemen und Standards. Und doch kann auch festgestellt werden, dass es diese soziale Komponente für ein stabiles und gerechtes Europa in der Zukunft braucht.

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